Insolvenz in Italien

1. Welche Arten von Insolvenzverfahren gibt es und wozu dienen sie?

  • Als Insolvenz wird die Situation bezeichnet, in der ein Wirtschaftsteilnehmer seine Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann.

Nach italienischem Recht ist die Insolvenz eine faktische Situation, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder eines anderen Verfahrens zur Verwaltung und Veräußerung von Vermögenswerten des Schuldners führen kann mit dem Ziel, den Veräußerungserlös an die Gläubiger auszuzahlen.

  • Das italienische Rechtssystem kennt zwei Verfahren zur Abwendung der Insolvenz. Das eine ist ein außergerichtlicher Vergleich zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern, wobei der Schuldner seine Geschäftstätigkeit fortsetzen kann, jedoch den Gläubigern bestimmte Vermögenswerte übergibt, während die Gläubiger im Gegenzug Zahlungsfristverlängerungen gewähren oder einen vollständigen oder teilweisen Verzicht auf die ihnen zustehenden Beträge und/oder Zinsen erklären.

Bei dem anderen Verfahren, dem so genannten ‚concordato preventivo’, handelt es sich um ein insolvenzrechtlich geregeltes Vergleichsverfahren, in dem der Schuldner seinen Gläubigern einen Umschuldungsplan vorschlägt. Der Vorschlag wird von dem zuständigen Gericht am Sitz des Unternehmens geprüft. Das Gericht kann das Verfahren per Beschluss zulassen oder den Antrag abweisen und das Insolvenzverfahren gegen den Schuldner eröffnen. Wird das Vergleichsverfahren zugelassen, darf der Schuldner unter der Aufsicht eines Vermögensverwalters weiter über das Vermögen des Unternehmens verfügen und die Geschäfte weiter führen.

Förmliche Verfahren sind das Insolvenzverfahren, das Vergleichsverfahren (concordato preventivo) und die verwaltungsbehördliche Zwangsliquidation (liquidazione coatta amministrativa). Das letztgenannte Verfahren kommt bei Unternehmen zum Tragen, die aus Gründen des öffentlichen Interesses gesetzlich nicht in Insolvenz gehen dürfen (etwa Banken oder große Versicherungsunternehmen).

2. Welche Voraussetzungen müssen für die Eröffnung der verschiedenen Insolvenzverfahren gegeben sein?

Die einzige echte Voraussetzung für die Eröffnung eines dieser Verfahren ist, dass das Unternehmen zahlungsunfähig sein muss.

  • Die Insolvenzeröffnung gegen Einzelunternehmer oder Firmen können deren Gläubiger, die Staatsanwaltschaft oder der Schuldner selbst beantragen. Diese Personen sowie das Aufsichtsorgan des Unternehmens können die Liquidation des Unternehmens beantragen. Einen Vergleich kann nur der Schuldner selbst beantragen.

Der Insolvenzeröffnungsbeschluss wird allen Beteiligten mitgeteilt und in Form eines Eintrags in dem für den Sitz des Unternehmens zuständigen Gesellschaftsregister veröffentlicht. Zugang zu dem Register, das auch online verfügbar ist, haben alle interessierten Personen.

Der Beschluss zur Zulassung des Vergleichsverfahrens wird durch Aushang an der Gerichtstafel, Eintragung im Gesellschaftsregister und, sofern der Schuldner in öffentlichen Registern eingetragenes bewegliches oder unbewegliches Vermögen besitzt, durch Eintragung in diesen Registern bekannt gemacht. Das Gericht kann auch die Veröffentlichung des Beschlusses in einer oder mehreren von ihm bezeichneten Zeitungen anordnen.

Darüber hinaus kann das Gericht auch eine anderweitige Veröffentlichung seines Beschlusses anordnen.

3. Welche Rolle spielen die einzelnen Beteiligten in den jeweiligen Verfahren?

Die am Insolvenzverfahren Beteiligten sind das Gericht, der beauftragte Richter (giudice delegato), der Insolvenzverwalter und der Gläubigerausschuss.

Das Gericht entscheidet über Insolvenzeröffnungsanträge und kann eine verwaltungsbehördliche Zwangsliquidation anordnen sowie Anträge auf Einleitung des Vergleichsverfahrens genehmigen. Ferner leitet das Gericht das Insolvenzverfahren, nimmt am Zwangsliquidationsverfahren teil und genehmigt kraft der ihm gesetzlich übertragenen Befugnisse einen geschlossenen Vergleich.

Der beauftragte Richter gewährleistet den regulären Ablauf des Verfahrens.

Der Insolvenzverwalter ist für die sachliche Verfahrensdurchführung und die Verwertung der Masse zuständig.

Der Gläubigerausschuss überwacht und genehmigt die Handlungen des Insolvenzverwalters und nimmt in den gesetzlich vorgesehenen Fällen oder auf Verlangen des Gerichts oder des beauftragten Richters Stellung.

Sobald das Insolvenzverfahren eröffnet ist, darf der Schuldner an einzelne Gläubiger keine Zahlungen mehr leisten und muss dem Insolvenzverwalter das Vermögen und später erworbene Güter übergeben. Er muss dem Insolvenzverwalter jede Änderung des Wohn- oder Geschäftssitzes anzeigen und auf Ladung vor dem beauftragten Richter, dem Insolvenzverwalter oder dem Gläubigerausschuss erscheinen und alle für das Verfahren erforderlichen Angaben machen oder Erläuterungen geben. Ferner muss er dem Insolvenzverwalter sämtliche Korrespondenz über Finanz- und Geschäftsbeziehungen aushändigen, die mit der Insolvenz im Zusammenhang stehen. Schließlich darf er sein Haus – sofern ihm aus persönlichen und familiären Gründen gestattet wird, ein Eigenheim zu bewohnen – für keinen anderen Zweck benutzen.

Jeder Gläubiger kann beim Gericht die Insolvenzeröffnung gegen einen Unternehmer (seinen Schuldner) beantragen, wenn dieser zahlungsunfähig sind. Liegen gesetzliche Gründe für eine Bevorrechtigung bestimmter Gläubigerforderungen vor (dingliche Sicherungsrechte, Pfandrechte oder Hypotheken), so genießen diese bevorrechtigten Gläubiger bei der Befriedigung ihrer Forderungen bestimmte, gesetzlich genau geregelte Sonderrechte.

4. Welche Folgen hat die Eröffnung des Verfahrens?

  • Der Insolvenzverwalter erstellt eine Vermögensübersicht.
  • Der Unternehmer verliert nicht das Eigentum an dem Vermögen, sondern die Verfügungsbefugnis darüber. Er kann die Verwaltung des übergebenen Vermögens überwachen und die korrekte Inventarisierung der Masse kontrollieren.
  • Die Gläubiger haben Anspruch auf Befriedigung ihrer Forderungen aus dem Veräußerungserlös der Insolvenzmasse. Die Gläubigerkategorien und die Rangfolge, in der die Forderungen zu befriedigen sind, sind gesetzlich geregelt.
  • Der beauftragte Richter kann Dringlichkeitsmaßnahmen zum Schutz der Masse anordnen oder von den zuständigen Behörden anordnen lassen. Hierzu zählen die Sicherungsbeschlagnahme und andere in der Zivilprozessordnung festgelegte spezielle Verfahren sowie die unverzügliche Veräußerung verderblicher Güter.

5. Welche besonderen Regeln gelten für die einzelnen Forderungsarten?

  • Stehen Dritten dingliche Rechte an beweglichen oder unbeweglichen Gütern zu, die sich im Besitz des Insolvenzschuldners befinden, so werden diese Dritten vom Insolvenzverwalter benachrichtigt. Sie können dann die Herausgabe der Güter verlangen oder eine Forderung anmelden, indem sie beim Gericht die Aufnahme der Güter in die Insolvenzmasse beantragen.

Bei einer Insolvenz können die Gläubiger ihre Forderungen gegen den Insolvenzschuldner mit ihren Verbindlichkeiten aufrechnen, es sei denn, diese sind infolge von nach der Insolvenzeröffnung oder im Jahr davor geschlossenen Rechtsgeschäften unter Lebenden entstanden.

Für Schadenersatzforderungen gelten keine besonderen Vorschriften. Bei Forderungen dieser Art hat die Insolvenzeröffnung lediglich zur Folge, dass die gesetzlichen Zinsen vorläufig nicht mehr weiterlaufen.

Bei Kaufverträgen mit Eigentumsvorbehalt führt die Insolvenz des Verkäufers nicht zur Auflösung des Vertrags.

Immobilienmietverträge werden durch die Insolvenz des Vermieters nicht aufgehoben, stattdessen tritt der Insolvenzverwalter in den Vertrag ein. Dieser kann den Vertrag jedoch jederzeit auflösen, sofern der Vermieter eine angemessene Entschädigung für die vorzeitige Kündigung erhält. Im Falle eines Streites entscheidet der beauftragte Richter nach Anhörung der Parteien über den zu zahlenden Betrag.

Beschäftigungsverhältnisse erlöschen, wenn das in Insolvenz befindliche Unternehmen seine Geschäftstätigkeit einstellt. Wird das Unternehmen ganz oder in Teilen an Dritte verkauft, ermöglicht ein besonderes Verfahren die Übernahme eines Teils der in dem insolventen Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter durch den neuen Eigentümer oder die Änderung bestehender Beschäftigungsverhältnisse.

Die Rechte der Gläubiger sind im Insolvenzrecht detailliert geregelt. Besonderer Schutz besteht für Forderungen, die aus rechtlichen Gründen vorrangig sind, sowie – im Wege der Insolvenzanfechtung – für Forderungen, deren Einbringlichkeit sich durch benachteiligende Handlungen des Schuldners verschlechtert hat.

Hauptpflicht der Gläubiger ist die Unterlassung eigener Vollstreckungs- und Vorsorgemaßnahmen ab der Insolvenzeröffnung.

Bevorrechtigte Gläubiger können ihre Rechte an bestimmten beweglichen Gütern während des Insolvenzverfahrens geltend machen, sofern diese Güter zu den vorrangigen Verbindlichkeiten gehören.

6. Welche Vorschriften gelten für benachteiligende Handlungen?

  • Das Insolvenzrecht regelt auch die Insolvenzanfechtung, also die Nichtigerklärung unentgeltlicher Rechtsgeschäfte oder die Rückgängigmachung anderer Handlungen einschließlich entgeltlicher Rechtsgeschäfte sowie von Schuldnern geleisteter Zahlungen oder während der Insolvenz gewährter Garantien in Bezug auf Vermögenswerte. Die Voraussetzungen für die Rückgängigmachung jeder dieser Handlungen sind ebenfalls gesetzlich geregelt.
  • Als Sperrfrist gilt die Zeit vor der Insolvenzeröffnung, in der dem Unternehmer die prekäre Finanzlage vermutlich bewusst geworden ist und er möglicherweise versucht war, zum Nachteil der Gläubiger zu handeln.

7. Welche Bedingungen gelten für die Anmeldung und Zulassung von Forderungen?

  • Der Insolvenzverwalter muss jedem Gläubiger per Post, E‑Mail oder Fax mitteilen, nach welchen Regeln Forderungen anzumelden sind.
  • Angemeldete Forderungen werden in einer speziellen Gerichtsverhandlung zur Bewertung der Insolvenzmasse geprüft, wobei entschieden wird, ob die Forderungen zugelassen werden und welche Forderungen mit Vorzugsrechten ausgestattet sind.

8. Welche Vorschriften gelten für Sanierungsverfahren?

Nach dem Insolvenzrecht sind Umschuldungspläne während des Vergleichsverfahrens möglich. Der Schuldner fügt diese Pläne dem bei Gericht eingereichten Vorschlag bei. Sie müssen eine Umschuldungsprognose und Vorschläge zur Rückzahlung der Schulden in einer bestimmten Form enthalten.

Der Schuldner kann mit den Gläubigern außergerichtlich eine Umschuldungsvereinbarung schließen, bevor über die Zulassung des Vergleichs entschieden wird.

Er kann diese Vereinbarung, sofern ihr die Inhaber von mindestens 60 % der Gläubigerforderungen zugestimmt haben, bei der Gerichtsverhandlung zur Zulassung des Vergleichs vorlegen. Gleichzeitig muss er ein Sachverständigengutachten zur Durchführbarkeit der Vereinbarung beibringen.

Der Umschuldungsplan des Schuldners oder die mit den Gläubigern getroffene Vereinbarung kann einen befristeten Zahlungsaufschub oder eine Reduzierung der Forderungen vorsehen.

9. Welche Vorschriften gelten für das Liquidationsverfahren?

Im Liquidationsverfahren erfasst der Insolvenzverwalter die Forderungen, veräußert die Insolvenzmasse und stellt die Verbindlichkeiten anhand der von den Gläubigern angemeldeten Forderungen fest.

Wird durch die Verwertung der Masse ein positiver Betrag erzielt, so wird dieser nach der Rangordnung der Forderungen an die Gläubiger verteilt. Übersteigen die Verbindlichkeiten den Veräußerungserlös, können die Gläubiger ihre Restforderungen auch nach dem Abschluss des Verfahrens unbeschränkt geltend machen, es sei denn, der Schuldner hat während des Insolvenzverfahrens in vollem Umfang mitgewirkt und ihm ist vom Gericht eine Restschuldbefreiung („esdebitazione“ – eingeführt durch die letzte Insolvenzrechtsreform) gewährt worden.

10. Unter welchen Voraussetzungen wird das Verfahren beendet?

Das Liquidationsverfahren kann abgeschlossen werden, wenn alle Schulden beglichen sind und der Veräußerungserlös der Insolvenzmasse unter den Gläubigern nach der Rangordnung ihrer Forderungen verteilt worden ist oder – falls die Forderungen der Gläubiger nicht befriedigt worden sind – wenn feststeht, dass die Fortsetzung des Insolvenzverfahrens nicht zur Befriedigung ungesicherter Forderungen führen würde.

Für den Insolvenzschuldner ergeben sich folgende Konsequenzen:

a. Verwirkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen. Jegliche diesbezüglichen Handlungen des Insolvenzschuldners sind unwirksam.

b. Verwirkung der Klagebefugnis in die Insolvenzmasse betreffenden Streitsachen. Die Insolvenzeröffnung unterbricht jegliche derartigen Verfahren, allerdings kann der Insolvenzverwalter anstelle des Insolvenzschuldners in das Verfahren eintreten.

c. Nach Beratung mit dem Insolvenzverwalter und dem Gläubigerausschuss kann das Vormundschaftsgericht dem Insolvenzschuldner Unterhalt für ihn selbst oder für seine Familie gewähren.

Die jüngste Insolvenzrechtsreform hat die bisherigen Beschränkungen beseitigt, die verhinderten, dass der Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens seine Geschäftstätigkeit fortsetzen konnte. Der Insolvenzschuldner ist nach der Insolvenz nicht automatisch an einer Geschäftstätigkeit gehindert, es sei denn, ihm wurde aufgrund einer im Zusammenhang mit der Insolvenz begangenen Straftat die Führung eines Unternehmens verboten.

Nach dem Insolvenzrecht müssen Einzelunternehmer oder leitende Angestellte von insolventen Unternehmen, die Straftaten im Zusammenhang mit der Insolvenz begangen haben (etwa betrügerische Insolvenz, Kreditbetrug, Meldung nicht existierender Gläubiger und Verletzung anderer Obliegenheiten), mit Freiheitsentzug oder anderen Sanktionen – z. B. einem Berufsverbot – rechnen.

Das Gesetz sieht darüber hinaus auch eine strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters oder von Dritten vor.

*Quelle: Europäische Kommission

*Nur die in der Papierausgabe des Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte Fassung der Rechtsakte der Europäischen Union ist verbindlich.

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